Abbautechnik
Will man aus Steinen nutzbare Gerätschaften herstellen, so muß man in den meisten Fällen vom Rohgestein Teile abbauen, um die gewünschte Form zu erreichen. Nutzbare Zielprodukte bestehen entweder aus den abgebauten Bruchstücken, dem übrig gebliebenen Kernstein oder man verwendet beides. Die abgebauten Bruchstücke nennt man Grundformen.
Wir betrachten hier die Bruchvorgänge an spröden, homogenen, isotrophen Gesteinskörpern wie Feuerstein oder Hornstein. Leitet man in eine zentrale punktförmige Stelle eines solchen Körpers eine gerichtete Kraft ein und steigert diese kontinuierlich, bauen sich Spannungsfelder auf. In Richtung der Krafteinwirkung sind das Druckspannungen, konzentrisch um den Punkt herum Zugspannungen. Werden die molekularen Bindungskräfte überschritten, kommt es zum Bruch, wegen der charakteristischen Form Hertzscher Kegelbruch genannt. Wird der Bruch nicht im Zentrum, sondern am Rand eines Körpers initiiert, trägt das abgesprungene Fragment, in der Archäologensprache Grundform genannt, an der Innenseite dennoch teilweise Attribute eines Kegelbruchs, den Schlagbuckel oder Bulbus.
Nun schauen wir uns eine solche abgebaute Grundform, hier ist es ein Abschlag, einmal genauer an.
Die Unterseite des Abschlags, also die Seite zum Kernstein hin gerichtet, nennt man Ventralfläche. Auf ihr erkennt man, eventuell nur schräg im Gegenlicht, die Schlagwellen, auch Wallnerlinien genannt. Sie verlaufen kreisbogenförmig, wobei der gedachte Mittelpunkt des Kreises in Richtung des Schlagpunktes deutet. Eventuell finden sich an der Längskante kurze Sprunglinien. Das sind die Lanzettsprünge. Auch sie deuten in Richtung Schlagpunkt. Dieser liegt auf dem Schlagflächenrest, welcher am proximalen Ende der Grundform liegt. Hier befindet sich auf der Ventralfläche eine kleine Erhebung, der Schlagbuckel oder Bulbus. Das gegenüberliegende Ende der Grundform ist das Distalende. Wenn der Schlag ideal geführt wird, läuft die Grundform fein aus, endet federförmig. Wird zu wenig Energie aufgewendet, bleibt der Abschlag als Angelbruch oder Stufenbruch stecken. Bei zu viel Energie und falschem Schlagwinkel schlägt die Bruchendigung um, der Kernfuß wird mitgenommen. Je nach Abbautechnik haben sich am Schlagflächenrest ein kleines parasitäres Bulbusnegativ oder feine Sprünge gebildet.
Auch das Profil des Abschlags zeigt wichtige Merkmale. In Längsrichtung ist immer eine Biegung zu sehen, die konkave Seite liegt auf der Ventralseite. Vom Abbauwinkel kann man auf die Art der Abbautechnik schließen.
Auf der Dorsalfläche ist, wenn es sich nicht um einen Entrindungsabschlag handelt, immer ein oder mehrere Grate zu finden. Sie stammen von vorher durchgeführten Abschlägen.
Nun gehen wir näher auf die handwerklichen Abbautechniken und die Merkmale der abgebauten Bruchstücke ein. Einen guten Überblick bieten M.-L. Inizan, M. Reduron, H. Roche und J. Tixier in Technologie de la pierre taillée.
Grundsätzlich unterscheidet man harte von weichen Schlagwerkzeugen, sowie direkten von indirektem Abbau .
Bei der direkten Technik trennt man mit einem direkt geführten Schlag den Abschlag von einem Kernstein ab. Dazu kann man entweder einen harten, z.B. Quarzit oder Sandstein, oder weichen Schlagstein z.B. Kalkstein (Abb.1) nehmen. Schlagflächenreste an Artefakten, die direkt hart abgebaut wurden, können als besonderes Merkmal sogenannte Schlagaugen aufweisen. Das sind oberste Teile Hertzscher Kegel, die entstehen können, wenn die Schlagenergie zu gering ist und der Schlag "stecken bleibt".
Gebräuchliche Werkzeuge zum direkt weichen Abschlag wären Schlägel aus Geweih (Abb. 2) oder Wurzelholz vom Buchsbaum. Direkt harter Abbau mit massiven Schlagsteinen ist die Technik der Wahl bei den ersten Stufen der Präparation großer Feuersteinknollen. Die feineren Arbeiten können besser direkt weich durchgeführt werden. Um dann zu einem vorhersehbaren Ergebnis zu kommen, ist es notwendig, den Kernstein so zu präparieren, dass der elastische Geweihschlägel genau an einem vorher definierten Punkt am Rand des Kernsteins auftrifft. Erfahrene und geschickte Steinschläger stellen auf diese Art Produkte hoher Qualität her, wie z.B. die sehr schönen Klingen des jungpaläolithischen Magdalenien zeigen. Die Schlagfächenreste direkt weich geschlagener Silices sind immer sehr klein. Abbauwinkel sind deutlich unter 90°.
Bei der indirekten Technik (Abb. 3) kann man sich die aufwändige Abbaukantenpräparation weitgehend ersparen. Hier schlägt man mit einem Schlägel auf ein elastisches Zwischenstück, oft aus Geweih. Diesen sogenannten Punch kann man in Ruhe vor dem Schlag so platzieren, dass der Einleitungspunkt und die Richtung der Schlagkraft den Erfordernissen genügt. Gepunchte Klingen waren z.B. in der Linearbandkeramischen Kultur üblich. Die Abbauwinkel können bis zu 90 ° gehen.
Die Gegenschlag-Technik (Abb. 4) kann zur Feinarbeit bei der Kantenretuschierung eingesetzt werden. Man setzt das Werkstück auf ein festes Gegenlager und trennt mit einem geeigneten Schlägel vorsichtig Material ab.
Mit Hilfe der Drucktechnik (Abb. 5) kann man die Kraft noch präziser in das Werkstück bringen, als das beim Punchen der Fall ist. Man klemmt das Werkstück so fest, dass man mit einem speziellen Werkzeug, dem Druckstab, Kraft in eine vorbestimmte Richtung einleiten kann. Übersteigt die Kraft einen Wert, abhängig von Bedingungen wie Materialart und Größe des Werkstücks, Abstand von der Abbaukante usw., löst sich das Abbauprodukt vom Werkstück. Ab einer gewissen Werkstückgröße bediente man sich einfacher Kraftverstärker, die nach dem Hebelprinzip funktionierten. Auf diese Weise konnte man sehr lange und dennoch schlanke und dünne Klingen produzieren. Beispiele sind u.a. die kupferzeitlichen bis zu 43 cm langen Riesenklingen von Varna in Bulgarien.
Auf Bild 6 sieht man eine ander Art der Drucktechnik. Mit einem kleinen Druckstab werden dünne Späne oder Splitter sehr gezielt abgehoben. Mit dieser Technik wurden flächenretuschierte Artefakte hergestellt. Im ausgehenden Neolithikum hatten die Druckstäbe für Feinarbeiten, mit denen beispielsweise geflügelte Pfeilspitzen hergestellt wurden, Funktionsenden aus Kupfer. Die Gletschermumie vom Hauslabjoch führte ein solches Werkzeug mit sich.
Merkmal | Direkt hart | Direkt weich | Indirekt | Drucktechnik |
Abbauwinkel | bis 90° | 50° bis 80° | bis 90° | bis 90° |
Längskrümmung | stark | mäßig | mäßig bis stark | gering, am äußersten Ende gebogen |
Regelmäßigkeit | unregelmäßig | mittlere Regelmäßigkeit | sehr regelmäßig | sehr regelmäßig |
Abmessungen | breit und dick | dünner als direkt hart | ||
Schlagflächenrest | groß, Schlagpunkt zu erkennen | klein und oval bis punktförmig | uneinheitlich | sehr klein, punktförmig bis linear oder linsenförmig |
Schlaglippe | selten | häufig und sehr stark entwickelt | kommt vor | leicht bis stark entwickelt |
Bulbus | groß und deutlich | klein und diffus | klein bis deutlich | uneinheitlich |
Schlagnarbe | häufig | selten | selten | selten |
Schlagwellen | sehr deutlich | deutlich | selten, unscheinbar | sehr selten, schlecht sichtbar |
Schlagunfälle | Siret häufig, Languette selten | Languette häufig, Siret selten | Languette häufig, Siret selten, Nacelle manchmal | Languette manchmal, Nacelle häufiger |
Literatur:
Hahn J. (1991): Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Tübingen 1991
Inizan, M.-L.; Reduron, M.; Roche, H.; Tixier, J. (1995): Technologie de la pierre taillée. Centre de Recherches et d'Etudes Préhistoriques. CN.R.S. Meudon 1995
Pelegrin J. (2000) : Les techniques de débitage laminaire au Tardiglaciaire: critères de diagnose et quelques réflexions.
Pelegrin J. (2012) : Sur les débitages laminaires du Paléolithique supérieur. In: François Bordes et la Préhistoire.
Weiner J. (1987): Techniken und Methoden der intentionellen Herstellung von Steingeräten. In: Feuerstein: Rohstoff der Steinzeit - Bergbau und Bearbeitungstechnik. Archäologisches Museum der Stadt Kelheim, Museumsheft 3. 1987