Neolithische Mahlsteine
Mahlsteine sind Bestandteile neolithischer Mühlen. Drehmühlen, wie wir sie heute kennen, sind erst seit der Eisenzeit bekannt. In der Steinzeit wurde das Getreide auf sogenannten Schiebemühlen gemahlen. Sie bestanden immer aus zwei Elementen: ein lang-schmaler Läuferstein wurde auf einem ebenfalls lang-schmalen Unterlieger quer verschoben. Die Mahlflächen der beiden Steine wurden so zugerichtet, daß sie paßgenau aufeinander lagen. Die übrige Oberfläche war meist nur grob zurechtgehauen und blieb ansonsten unbearbeitet. An lange benutzen Läufersteinen ist auf der Oberseite manchmal ein sogenannter Handgriffglanz zu beobachten.
Damit die Mühle funktionieren konnte, durften die Mahlflächen nicht glatt sein, da sonst die Körner nicht zermahlen, sondern auf der Fläche nur verrollt oder gequtscht wurden. Bei Steinen aus "selbstschärfendem" Material, wie blasiger Basaltlava aus der Vulkaneifel, existiert dieses Problem nicht. Durch die Abnutzung beim Gebrauch öffnen sich immer wieder die eingeschlossenen Hohlräume und die Fläche behält ihre Rauhigkeit. Den neolithischen Bauern des Rheinlandes war dieses Gestein aber nicht bekannt, sie verwandten Sandstein. Im Gebiet um Jülich und Düren ist Eschweiler Kohlensandstein (EKS) das am meisten benutzte Rohmaterial (Weiner J., Schalich J. 2006), es gibt aber auch Exemplare aus Buntsandstein, Konglomeraten und nicht näher bestimmbaren Sandsteinvarietäten. Die Mahlsteine wurden bei Bedarf aufgepickt, die gesamte Mahlfläche des Läufers und des Unterliegers wurde durch Klopfen mit einem Stein, hierzu nahm man häufig die Restkerne aus der Klingenherstellung, mit Narbenfeldern übersät. Durch diese Art der Aufarbeitung und den Verschleiß beim Reiben wurden die Steine natürlich immer dünner. Irgendwann zerbrachen sie und wurden entsorgt, teilweise aber auch als Klopf- oder Schleifsteine weiterverwendet. Abgelegte, nicht wieder aufgearbeitete Mahlsteine sind manchmal schwer von Schleifsteinen oder -platten zu unterscheiden.
Wie man sich vorstellen kann, waren Mahlsteine ein wichtiges, sogar lebenswichtiges Inventar eines neolithischen Haushalts und somit sind sie starke, wenn nicht sogar eindeutige Siedlungsindikatoren. Sie sind für den Sammler dank ihrer Größe, des Materials und des Aussehens gut zu finden. Grob zugerichtete Sandsteinbrocken im Löß sollten immer ein Auslöser für eine intensive Suche in der näheren Umgebung des Fundplatzes sein! Ich kenne keine alt- oder mittelneolithische Siedlungsstelle ohne Mahlsteine. Im Jungneolithikum hat man wohl weniger standorttreu gewohnt, sodaß sich keine größeren Mengen an Mahlsteinen ansammeln konnten, oder man hatte die Ernährungsgewohnheiten umgestellt. An Plätzen, die anhand des sonstigen Fundmaterials auf einen jung- oder spätneolithischen Wohnplatz schließen lassen, sind Mahlsteine verhältnismäßig selten.
Typologie
Es ist nicht einfach und auch nicht immer möglich, aus der Form eines Mahlsteines auf die Funktion als Läufer oder Unterlieger rückzuschließen. Bei großen Steinen über 30cm Länge mit einer sattelförmigen Mahlfläche wird man von einem Unterlieger ausgehen können. Steine gleicher Form, die aber wesentlich kleiner sind, muß man als Läufer einordnen. Dazwischen befindet sich eine unbestimmbare Grauzone. Es ist mir, auch bei vergrößerter Betrachtung, nicht gelungen, Kratzer auf Mahlflächen zu entdecken, die auf eine Vorzugsrichtung bei der Arbeit hindeuten würden.
Aus der Form der gefundenen Mahlsteine kann man drei Typen ableiten (Kegler-Graiewski N. 2007).
Beim Typ 1 ist der Läuferstein länger als der Unterlieger breit. Die Enden des Läufers stehen also seitlich über und werden deshalb weniger abgenutzt. Läufersteine mit diesem Merkmal kann man ganz eindeutig als solche bestimmen. Sie kommen auf bandkeramischen Fundplätzen der Region recht häufig vor. Die Seitenkanten der zugehörigen Unterlieger können Schliffspuren oder Verrundungen aufweisen.
Mahlsteine vom Typ 2 besitzen einen Läufer, der etwa so lang ist, wie der Unterlieger breit. Kleinere Steine mit relativ ebener Fläche sind also Läufer des Typs 2. Bei Unterliegern dieser Form bleibt auch deren Fläche gerade.
Unterlieger vom Typ 3 sind breiter als der Läufer lang. Im Laufe der Zeit bildet sich im Unterlieger eine muldenförmige Vertiefung. Mahlsteine dieses Typs sind im Rheinland offensichtlich selten. Ein Exemplar mit einer tiefen, lang-schmalen Mulde habe ich noch nicht gefunden. Kleine Unterlieger mit runden Mulden kommen dann und wann, besonders an jungneolithischen Fundstellen, vor.
Mahlsteine im neolithischen Alltag
Mahlsteine hatten im Inventar eines neolithischen Haushaltes eine überragende Bedeutung. Auf ihnen wurde nicht nur Getreide zu Mehl gemahlen, auch andere Stoffe wurden gerieben oder gequetscht. Die massiven Unterlieger waren in einem Haus, das in der von Natur aus steinfreien Lößbörde gebaut war, die einzigen stabilen Widerlager um bespielsweise Nüsse zu knacken oder Markknochen aufzubrechen. Uns ist zwar keine neolithische Speisekarte bekannt, man kann aber getrost davon ausgehen, daß es Gewürzpasten nach Art der italienischen Pesto gab - ein weiterer potentieller Einsatzfall für eine Schiebemühle.
Sogar die Bibel berichtet über die außergewöhnliche Wichtigkeit von Mühlen. In 5. Mose 24, 6 steht geschrieben: "Man soll nicht Mühle [Unterlieger] noch Mühlstein [Läufer] pfänden; denn wer das tut, pfändet das Leben."
Starben weibliche Mitglieder der Gemeinschaft, so wurden ihnen häufig Mahlsteine als Grabbeigabe mit auf die letzte Reise gegeben. Nicht selten finden sich auf diesen Steinen Spuren zerriebenen Hämatits, vielleicht ein Bestattungsritus.
Beispiele von Unterlieger / Läufer - Kombinationen
Paare von Unterliegern und Läufern, die einst zusammengehörten, wird man als Sammler kaum finden können. Auf den folgenden Bildern möchte ich aber doch "komplette" Mühlen zeigen, auch wenn die Komponenten nicht paßgenau aufeinander liegen.
Eine Schiebemühle vom Typ 1. Dieses Querschnittsbild soll verdeutlichen, wie weit der verschlissene Läuferstein seitlich über die Kante des Unterliegers ragt. Ich habe bis jetzt leider nur zerbrochene Läufer vom Typ 1 gefunden. Die Funde stammen von einer bandkeramischen Siedlungsstelle.
Schiebemühle vom Typ 2. Der Läufer ist so lang wie der Unterlieger breit. Auch diese Funde sind bandkeramisch.
Mahlstein-Unterlieger
Vollständige Mahlsteine finden sich nur selten auf den neolithischen Siedlungsstellen. Gerade die großen Unterlieger störten doch sehr bei der neuzeitlichen Landwirtschaft. Sie sind im "steinarmen" Rheinland nach dem Hochpflügen wahrscheinlich in Fundamenten verbaut oder als Befestigungmaterial in die Wirtschaftswege entsorgt worden. Die unzerbrochenen Exemplare, die man findet, werden erst beim tiefergehenden Pflügen mit modernen, starken Landwirtschaftsmaschinen ans Tageslicht gekommen sein.
Ein Unterlieger aus Eschweiler Kohlensandstein. Der Mahlstein ist 36 cm lang und hat ein Gewicht von 8 kg. Die Fundstelle ist bandkeramisch. Vielleicht handelt es sich um einen Verwahrfund. Der Stein wäre durchaus noch zu gebrauchen und die Mahlfläche ist frisch aufgepickt.
Diesen Unterlieger habe ich so fotografiert, daß die sattelförmige Gestaltung der Mahlfläche deutlich dargestellt wird. Die Schieberichtung ist konkav und die Querrichtung konvex geformt. Den Stein fand ich nach drei Jahren an der gleichen Stelle wie der im vorhergehenden Bild gezeigte.
Das Stück ist 40 cm lang und wiegt 7,5 kg.
Unterlieger von fast 50 cm Länge und einem Gewicht von 14 kg.
Läufersteine
Vollständig erhaltene Läufersteine findet man noch seltener als komplette Unterlieger. Offensichtlich wurden sie wirklich so lange benutzt, bis sie zerbrachen. Besonders wird das bei Läufern, die zu Schiebemühlen vom Typ 1 gehören, deutlich. Der mittlere Bereich ist meistens sehr dünn, wogegen die Ränder noch fast die ursprüngliche Dicke haben.
Zwei Läuferbruchstücke vom Typ1, hergestellt aus EKS.
Das ist die Oberseite eines der beiden im vorigen Bild gezeigten Läufersteine. Man kann sehr gut den Handgriffglanz erkennen. Der Stein ist nicht aus einem verrundeten Geröll hergestellt, die blankgewetzten Stellen künden vom intensiven Gebrauch der Mühle.
Ein verbrauchter Läuferstein vom Typ 2. Die Seiten hängen nicht über, also war der Unterlieger genau so breit oder breiter als der Läufer lang. Bei einer Länge von 180 mm ist das Stück nur noch 35 mm dick. Das Material ist ein verhältnismäßig feinkörniger, quarzitisch gebundener Sandstein, kein EKS.
Literatur:
Kegler-Graiewski N. (2007): Beile - Äxte - Mahlsteine. Zur Rohmaterialversorgung im Jung- und Spätneolithikum Nordhessens. Dissertation, Köln 2007
Weiner J., Schalich J.(2006): On Potential Bandkeramik Millstone Quarries In The Rhineland. In: Stone Age - Mining Age - Der Anschnitt, Beiheft 19, 2006