Retuschierung
Die bekannteste Art der Modifikation von Kieselgestein ist die Retusche. Mit dieser Technik werden die Kanten oder Oberflächen der Grundformen so bearbeitet, dass sich die gewünschte Form und Funktion des Werkzeuges ergibt. Retuschen lassen sich sowohl mit weichen Schlagsteinen, den Retuscheuren herstellen, sie können aber auch mit hammerähnlichen Schlegeln aus Geweih abgeschlagen werden. Feinere Retuschen wurden mit Druckstäben aus Geweih, ab dem Spätneolithikum auch mit solchen aus Kupfer gedrückt.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Kanten- und Flächenretuschen. Bei der Definition beziehe ich mich auf die Ausführungen von Joachim Hahn in seiner Artefaktmorphologie.
Flächenretusche
Die Flächenretusche bedeckt im Normalfall einen großen Teil der Grundformbreite und kann im Ausnahmefall sogar die ganze Oberfläche bedecken. Die Flächenretusche bedarf einer aufwendigen Präparation der Schlagfläche, d.h. and der Steinkante muß eine Plattform hergerichtet werden. Je nach verwendeter Schlagtechnik führen verschiedene bruchmechanische Effekte zum Lösen der Abschläge oder Absplisse.
Hertzscher Kegelbruch:
der Schlag wird mit hartem Schlagwerkzeug senkrecht auf die Plattform gebracht, das Ergebnis ist eine grobe Flächenretusche mit tiefen Bulbusnegativen.
Biegebruch:
mit weichem Gerät abgetrennter dünner, langer Abschlag, der keinen ausgeprägten Bulbus hat. Es entstehen ausgeprägte Wallnerlinien.
Druckretusche:
gekennzeichnet durch längliche, parallele und regelmäßige Negative. Hergestellt werden sie mit einem Druckstab aus hartem Material, dessen Druckfläche etwa die Breite der zu entfernenden Abschläge haben muß.
Flächenretusche an einer Vorarbeit für eine Beilklinge
Das tiefe Negativ oben links wurde duch einen Hertzschen Kegelbruch hervorgerufen. Das harte Schlagwerkzeug war in diesem Falle wohl eine Pflugschar. Die übrigen Negative stammen von der Zurichtung der Beilklinge und sind durch Biegebrüche hervorgerufen.
Flächenretusche an einer Pfeilspitze
Diese Pfeilspitze stammt aus dem Endneolithikum und ist wahrscheinlich schon mit einem Druckstab aus Kupfer flächenretuschiert worden.
Kantenretusche
Die Kantenretusche ist nicht flächendeckend. Hahn unterscheidet in der Artefaktmorpholigie folgende Unterarten:
Feine Retusche, auch Perlretusche genannt
Sie verändert die Kante nur wenig, geht maximal 2mm in die Tiefe und stumpft den Winkel der Kante auf 50 bis 80 Grad ab. Sie läßt sich durch einfaches Abdrücken erzeugen, entsteht aber auch bei transversaler Benutzung als Gebrauchsretusche.
Starke Retusche
Sie hat eine Dicke von 2mm und mehr, einen Winkel zwischen 50 und 70 Grad. Die Breite der Grundform wird nur unwesentlich verändert.
Aurignacienretusche
sie beeinflußt die Breite der Grundform beträchtlich. Vorzugsweise mit einem Geweihschlegel hergestellt, könnte man sie als eine übersteilte starke Retusche bezeichnen, charakterisiert durch breite, steile bis schuppige Abhebungen. Jungneolithische Spitzklingen oder endneolithische Spandolche wurden durch solche Retuschen nachgeschärft.
Rückenretusche
es wird ein steiler Winkel zwischen 70 und 90 Grad erzeugt. Bei dicken Grundformen sind mehrere Arbeitsgänge notwendig. Wenn die Rückenretusche nur wenig von der Breite der Grundform wegnehmen soll, wie etwa bei Rückenmessern, dann kann sie gedrückt werden, ansonsten wird sie auf einer Unterlage weich geschlagen
Schuppenretusche
es bleibt eine schneidende Kante bestehen, der Winkel liegt zwischen 45 und 55 Grad.
Stufenretusche:
sie erzeugt eine schneidende Kante bzw. schärft diese nach. Die Merkmale sind ähnlich denen der Schuppenretusche, nur, daß hier mehrere Schuppenreihen übereinander liegen.
Literatur:
Hahn J. (1991): Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knocheartefakten. Archaeologica Venatoria Band 10, Tübingen
M.-L Inizan, M. Reduron-Ballinger, H. Roche, J. Tixier (1999): Technology and Terminology of Knapped Stone. Préhistoire de la Pierre Taillée, Tome 5, Nanterre
J. - L. Piel-Desruisseaux (1986): Outils Préhistoriques, forme - fabrication - utilisation, Paris