Der Feuerstein von Le Grand-Pressigny
Der Ort Le Grand-Pressigny liegt etwa 50 km südlich von Tours im Département Indre-et-Loire. An den Hängen der Bäche und Flüßchen treten die geologischen Kreideschichten des oberen Turon zu Tage. Diese Formationen sind außerordentlich reich an Feuerstein. Er kommt dort in Knollen oder Platten vor, die Mächtigkeiten bis an 30cm haben. Einzelne Knollen sind noch wesentlich größer. Der Feuerstein ist honigfarben bis hellbraun und relativ grobkörnig. An frischen Bruchflächen erkennt man im Gegenlicht glitzernde Quarzkristalle, ähnlich dem Quarzit, den sogenannten Zuckerglanz.
Wie archäologische Befunde zeigen, wurde in der Gegend bereits im Paläolithikum Feuerstein verarbeitet. Ihre Blüte erreichte die Feuersteinindustrie aber im ausgehenden Neolithikum. Obwohl der Feuerstein in Primärlagern ansteht, zog man es vor, die Residuallagerstätten auszubeuten. Das Material war günstiger einzugewinnen und, wenn es noch nicht zu stark von bodenmechanischen Kräften beansprucht wurde, von ausgezeichneter Qualität. Man bevorzugte deshalb Knollen von den oberen Höhen, wo sie relativ frisch ausgewittert und noch nicht in die Tallagen gedriftet waren. Es wurden unschätzbare Mengen an Kernsteinen, Klingen und Beil-Halbfabrikaten hergestellt. Der Handel mit den Gütern erstreckte sich über ganz Mitteleuropa. Eine Spezialität von Le Grand-Pressigny waren die Livres-de-Beurre, aufwendig präparierte Klingenkernsteine für Großklingen. Die sehr langen Feuersteinklingen wurden überwiegend zu sogenannten Spandolchen verarbeitet. Selbst die Livre-de-Beurre - Methode war ein Exportschlager. Kernsteine dieser Art fand man auch in der Champagne, Mouthiers im Département Charente und in Vassieux-en-Vercors im Département Drôme, wo sie vermutlich von fachkundigen Wanderarbeitern aus dem dort lokal anstehendem Feuerstein präpariert und zu Großklingen abgebaut wurden.
Aus den Livres-de-Beurre wurden Klingen von 25 bis 38 cmLänge, 4 bis 6 cm Breite und 1 bis 1,5 cm Dicke indirekt weich abgebaut, also gepuncht. Nachdem eine Klinge geschlagen war, mußte jeweils die Schlagfläche neu präpariert werden Zur Vorbereitung der Bruchinitialisierung päparierte man zudem mit einem speziellen scheibenförmigen Schlagstein, dem Piqueteur, einen ca. 2 mal 7 mm großen aufgerauhten Grat. So konnte man auch den Punch sicherer positionieren. Um Schlagunfälle, sogenannte hinges zu vermeiden, setzte man den Kernfuß auf einen leicht elastischen Untergrund, etwa einen Holzklotz. Nach etwa 10 Klingen war ein Kern so weit abgebaut, dass die Klingen nicht mehr dem hohen Qualitätsanspruch genügten. Klingen, die kürzer als etwa 25 cm waren, wollte man nicht in den Handel bringen.
Neben den Kernsteinen "Livre-de-Beurre" die vom 28. bis zum 23. Jahrhundert v. Chr. produziert wurden, sind im Neolithikum von Le Grand-Pressigny noch weitere Kernsteintypen bekannt. Ein relativ kurz und breiter Kern, "plat" oder auch "court et large" genannt, wurde unipolar abgebaut. Zielprodukte waren stabile Klingen, aus denen z.B. quer geschäftete Messer mit Schäftungskerben die scies à encoches oder Kratzer hergestellt wurden. Die direkten Vorläufer der Livres-de-beurre sind Kerne, die zwischen dem 31. und 28. Jh. v. Chr. nach der Methode « nucléus à crête(s) antéro-latérale(s) et éventuel plan de frappeopposé » oder kurz NaCAL hergestellt wurden. Die bipolar abgebauten Klingen waren bis zu 17 cm lang und 4 bis 5 cm breit.
Im folgenden Video präpariert J. Pelegrin einen Kernstein vom Typ "Livre-de-beurre", baut davon Großklingen ab und stellt einen Spandolch her.
Literatur:
Ihuel E. u. Pelegrin J.: Du Jura au Poitou en passant par le Grand-Pressigny: une méthode de taille et des poignards particuliers vers 3000 av : J.-C. In: Les industries lithiques taillées des 4e et 3e millénaires en Europe occidentale, Oxford 2008
Kelterborn P.: Zur Bedeutung der "livres de beurre", In: 5000 Jahre Feuersteinbergbau - Die Suche nach dem Stahl der Steinzeit. Bochum 1980
Pelegrin J.: Long blade technology in the Old World. In: Skilled Production and Social Reproduction - Aspects of Traditional Stone-Tool Technologies, Proceedings of a Symposium in Uppsala, August 20–24, 2003. Uppsala 2006
Weiner J.: Eine wenig bekannte Kernsteinform aus der Region von Le Grand Pressigny (Indre-et-Loire), In: 5000 Jahre Feuersteinbergbau - Die Suche nach dem Stahl der Steinzeit. Bochum 1980